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Die Deportation der griechischen Juden aus Makedonien und Thrakien – Berichte von Überlebenden

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2020-03-21 2020-03-21 21.03.2020

Vor dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht 1941 in Griechenland lebten dort 80.000 Juden, davon ungefähr 50.000 in Thessaloniki. Nach dem Abzug der Deutschen aus Griechenland blieben von dieser jahrhundertealten Gemeinde nur noch 5.000 Menschen übrig. Berichte von Überlebenden geben Auskunft darüber, wie die Deportation der Juden damals ablief.

1. Thessaloníki. Bericht von Pepo Cohen, Mathematikprofessor
Am 9. April 1941 besetzten die Deutschen unsere Stadt. Wenig später bekam unsere Fabrik den Befehl, eine Bestellung von 5000 Paar Schuhen auszuführen für die Transport-Dienststellen, die natürlich unter dem Kommando des Eroberers standen. Wir hatten Besuche von Leuten der Gestapo, von Dr. Kalmes und anderen. Die Besatzung verursachte einige Probleme: Verteuerung des Lebensunterhalts, Arbeitslosigkeit, Krankheiten.
Der 11. Juli 1942 ist der Tag, an dem sie begannen, strenge Maßnahmen gegen die jüdische Bevölkerung zu ergreifen. Wir hatten in Thessaloníki zwei deutsche Zeitungen, die in griechischer Sprache gedruckt wurden: die „Néa Evrópi“ und die „Apojevmatiní“. Aus der Presse erfuhren wir, dass sich „alle Juden im Alter von 18 bis 45 Jahren am Samstag, dem 11. Juli 1942 um 8 Uhr morgens auf dem Platz der Freiheit einzufinden hätten“. (Auf diesem Platz, das sei erwähnt, wurde 1908 in zehn Sprachen die Botschaft der Freiheit, der Brüderlichkeit und Gleichheit von der Partei der Jungtürken an die Massen des gesamten osmanischen Reiches verkündet).
Dieser Befehl, der in den Zeitungen veröffentlicht wurde, geht auf den Zweck des Aufrufs überhaupt nicht ein. Wir wußten nichts, genau so auch unsere Gemeinde. Ihr Vorsitzender Sabi Saltiel war ebenfalls durch die Presse von der Nachricht informiert worden. Später erfuhren wir, dass der Befehl von dem Büro des „Befehlshabers“, also dem Kommandeur der Militärverwaltung, stammte.
Wir waren ungefähr 9000 Glaubensgenossen, die sich versammelt hatten. Es herrschte eine unerträgliche Hitze. Sie zwangen uns, aufrecht in dichten Reihen zu stehen. Die Deutschen hatten rings um den Platz Maschinengewehre und kleine Geschütze aufgestellt. Es war ausdrücklich verboten zu sitzen, aus unserer Reihe herauszutreten, uns vor der Sonne mit einer Zeitung zu schützen oder Sonnenbrillen aufzusetzen oder auch nur eine Zigarette anzuzünden oder eine freundliche Handbewegung zu einem Bruder von uns oder einem Freund zu machen. Deutsche Soldaten oder junge Marineangehörige stürzten sich auf jene, die den kleinsten Anhaltspunkt einer Undiszipliniertheit zeigten. Ihre Brutalität zeigte sich da ohne Grenzen. Sie schlugen rechts und links, auf den Kopf, auf die Schultern. Sie zwangen uns, unglaubliche Drehungen zu machen, im Staub zu kriechen, uns zu wälzen, sadistische gymnastische Übungen zu machen. Das alles begleiteten sie mit schweren Beschimpfungen. Um uns herum wurden viele ohnmächtig. Später erfuhr ich, dass dieses Spiel sogar Todesopfer gefordert hatte.
Diese sadistischen Bilder belustigten die deutschen Frauen unglaublich, die von den Fenstern und den Balkonen des großen Hotels Ritz, das auf den Platz hinausgeht, zuschauten.
Wie alle auf dem Platz war auch ich verpflichtet, zur Registrierung zu erscheinen. Für diesen Zweck hatte ein spezielles Büro im Gebäude der Ionischen Bank geöffnet. Die Registrierung dauerte vier Tage. Ich war am ersten Tag fertig. Die Angestellten der Gemeinde, unter dem Befehl der Deutschen, schrieben die Namen auf. Unter ihnen hatte ich einen Bekannten von mir getroffen. Mit einer Kopfbewegung bat ich ihn, mich länger im Büro zu behalten, um beim Herausgehen den Schlägen (der Deutschen) zu entgehen.
Jeder von uns bekam eine persönliche Karte mit unserem Namen und einer laufenden Nummer. Die Karte war unterschrieben von Meine. In der Folge forderten sie uns durch die Presse zum Erscheinen auf, damit wir verschiedene Arbeitergruppen (Bataillone) für Zwangsarbeiten bildeten. Die erste Gruppe bestand aus 2000 Männern und war für Straßenbauarbeiten bestimmt. Von diesen schickten sie 600 nach Kateríni, 400 nach Litóchoro, 600 nach Leptokariá, 200 nach Dexamenés und 200 zum Flughafen Sédes. Jede Arbeitergruppe hatte als Leiter zwei Reserveoffiziere der griechischen Armee.
Ich beschließe zu fliehen und treibe meine Familie an, dasselbe zu tun. Wir konnten keinen Kontakt zum Widerstand bekommen, der sich in dieser Gegend Griechenlands erst noch in seinen Anfängen befand, während die Wälder und Berge weit entfernt von Thessaloníki waren. Ich musste um jeden Preis in die Italienische Zone wechseln.
Ich kannte einen griechischen Eisenbahner, der mich von den Zwangsarbeiten rettete, bei denen ich wie soviele andere den Tod hätte finden können. Er borgte mir seine Arbeitskleider, gab mir eine Taschenlampe in die Hand und so glitt ich direkt unter der Nase der Gestapo durch. Ich nahm einen Zug und fuhr zur Station Platamónas, wo die Italienische Zone begann.
Die Militärbehörden boten allen Flüchtlingen aus Richtung Thessaloníki Hilfe an. Es reichte, dass man auf einer italienischen Dienststelle erschien und ihnen sagte: „Ich bin Jude“, damit sie einem halfen, Athen zu erreichen.
Ich floh rechtzeitig, denn die Menschen, die nach der Versammlung vom 11. Juli 1942 zu den Zwangsarbeiten geführt wurden, starben dort wie die Fliegen. Merten, militärischer Befehlshaber von Thessaloníki, verlangte von der (Israelitischen) Gemeinde 3,5 Milliarden Drachmen für den Freikauf der jüdischen Arbeiter. Um die Unglücklichen zu retten, brachte die Gemeinde eine erste Anzahlung von 500 Millionen auf. Es hieß, dass das Sammeln für die Zwangsarbeiten geschah, damit die Deutschen das Geld der Juden in die Hand bekommen konnten, denn die Arbeiten wiesen nur geringen Nutzen auf. Viele starben in den Arbeitsbataillonen oder an Krankheiten, die die Zwangsarbeit bewirkte.
Meine Familie schaffte es zu fliehen, bevor die Deportationen begannen. In Athen wurden wir mit falschen Ausweisen ausgestattet. Mein Vater fertigte Schuhe an, die meine Mutter, Französischlehrerin, auf den Straßen verkaufte. Mein jüngerer Bruder ging ins Lyzeum unter dem falschen Namen Kyriakídis.

2. Veria. Bericht von Menachem Stroumza
Unsere Gemeinde zählte 150 Familien, mit mehr als 600 Mitgliedern. Wir waren Handelstreibende, wir hatten freie Berufe und es gab unter uns auch noch viele Landwirte. Unsere Synagoge war aus dem 16. Jahrhundert. Dank dem Metropoliten Polýkarpos gelang es, die wertvollen Verehrungsgegenstände zu retten. Unsere Gemeinde befand sich in ständigem Kontakt mit der Gemeinde Thessaloníkis. Von unserer Gemeinde erfuhr ich, dass die Gesetze, die speziell gegen die Juden in ganz Europa geschaffen worden waren, dank dem Eingreifen der Militärverwaltung nicht auf uns angewendet werden würden. Und das, weil die Gemeinde dem Befehlshaber (der Militärverwaltung) großzügiges Lösegeld gezahlt hatte.
Eines Tages kam ein Abgesandter, der uns ankündigte, dass die Sondergesetze umgesetzt werden würden. Ich telefonierte mit dem Rabbiner Koretz, der mir das bestätigte. Die speziellen Maßnahmen gegen die Juden von Thessaloníki sollten auch für die Juden von Véria, Flórina und Vodená [= Edessa] gelten. Die Juden von Makedonien würden nach Krakau gebracht, um dort während der Dauer der Feindseligkeiten zu wohnen.
In meiner Eigenschaft als Vorsitzender dieser kleinen Gemeinde empfahl ich meinen Menschen zu fliehen, sich zu verstecken. Aber es war schwer, plötzlich alles aufzugeben, was ihr Leben darstellte und ihr gewisses Vermögen, das sie häufig mit den Anstrengungen vieler Generationen aufgebaut hatten.
Sie begannen mit dem uns benachbarten Flórina. Am 30. April wurden 400 Juden anfangs nach Thessaloníki in das Konzentrationslager gebracht und von dort nach Polen. Mir halfen viele befreundete Griechen sowie auch einige von meinen Glaubensgenossen und so floh ich in die Berge. Vom Tag des Zusammentreibens an wurden mehr als 600 Menschen verhaftet. Diese wurden mit den 2000 Juden vereinigt, die inzwischen in Thessaloníki eingesammelt worden waren, und wie die anderen nach Polen geschickt.

3. Serres. Bericht von Alberto Ruben Prisnalis
Unsere Gemeinde zählte 600 Mitglieder, die völlig vernichtet wurden. Die Liste der Verschleppten umfasst 596 Personen. Wir waren alle Hispanojuden.
Nur wenige Wochen nach der Besetzung von Thessaloníki, das zwei Stunden von Sérres entfernt liegt, wurde unsere Stadt anfangs von den Deutschen und danach von den Bulgaren besetzt. Sérres sollte anscheinend, wie auch Dráma oder Kavála, nach einem Sieg Hitlers endgültig Bulgarien zugeschlagen werden.
Die bulgarischen Behörden riefen die Juden auf, bei dem Vorhaben mitzuarbeiten. Wie hätten wir so etwas machen können? Die Bulgaren waren Verbündete der Nazis; wir Juden waren seit Jahrhunderten rechtmäßige Bürger von Griechenland. Kämpften wir nicht tapfer gegen den Eroberer und die italienischen Faschisten seit dem Beginn des Krieges? Der Ruf der jüdischen Kriegsteilnehmer war heroisch. Der jüdische Oberst Frizis fand ruhmreichen Tod, als er sein Vaterland verteidigte. Und dann noch dies: wir, wie alle Juden, waren sicher, dass am Ende die Verbündeten siegen würden.
Wir hatten in Sérres Vertreter der Militärregierung und der bulgarischen Zivilverwaltung. Es war der Befehl für eine allgemeine Registrierung ausgegeben worden, wir mussten mit Fotografien auf der Kommandantur erscheinen. Sie sammelten Informationen über die persönliche Identität eines jeden, selbst unsere Fingerabdrücke nahmen sie ab (die Ausweise der Juden wurden nach dem Krieg gefunden und im Prozess gegen die Bulgaren Kaltsev und Ravalli verwendet), sie zwangen uns, den Judenstern zu tragen. Jeder von uns hatte einen gelben Ausweis, in dem in griechischer und bulgarischer Sprache unsere Rassenabstammung vermerkt war.
Die Juden von Sérres lebten in guten Beziehungen mit ihren Mitbürgern. Außer dem spanischen Dialekt sprachen sie auch gut griechisch. Es gab sicherlich einen jüdischen Stadtteil, aber viele lebten verstreut in verschiedenen Stadtteilen. Sie hatten den Befehl gegeben, jede Wohnung von ihnen zu markieren, indem das besondere Zeichen „Jüdische Wohnung“ angebracht wurde.
In der Nacht vom 3. zum 4. März erlitt der jüdische Stadtteil sowie die Straßen mit Häusern, in denen Juden wohnten, die Invasion der Vertreter der zivilen und der militärischen Verwaltung. Sie zwangen die Menschen, ihre Häuser zu verlassen und sich auf den Straßen zu versammeln. Wir alle wurden dann unter Begleitung zu dem großen Gebäude der Tabaklager der Stadt Sérres geführt. Wenige von uns konnten in ihrer Verwirrung Gepäck mit sich nehmen. Sie luden sie an der Eisenbahnstation von Sérres in Viehwaggons mit unbekanntem Bestimmungsort.
In dem Städtchen Néa Zíchni gab es eine einzige jüdische Familie, die sie ebenfalls verhafteten und sie mit den anderen mitnahmen.
Nach der Deportation der Juden besetzten sofort bulgarische Faschisten und kollaborierende Griechen die Geschäfte, die Häuser und die Werkstätten. Die Sachen, die größeren Wert hatten, verpackten sie und holten sie mit Lastwagen ab. Die Haushaltsgegenstände und die seriengefertigten Möbel wurden bei Versteigerungen für fast nichts verkauft.
Was mit den Deportierten geschah, ist uns unbekannt. Es scheint, dass sie in der Donau ertrunken sind.

4. Drama. Bericht von Moysis Pesach
Die jüdische Bevölkerungsgruppe von Dráma zählte 300 Familien mit mehr als 1000 Mitgliedern. Während ihrer Deportation wurde die Zahl auf 1200 Personen festgesetzt, von denen 780 deportiert wurden. Wir waren Hispanojuden. Die Mehrheit beschäftigte sich mit verschiedenen Gebieten des Groß- und Einzelhandels. Wir lebten ohne übertriebene Annehmlichkeiten, kannten aber auch kein Elend. Wir hatten eine schöne Synagoge und eine große Schule.
Wir ertrugen tapfer die ersten Maßnahmen der Nazis. Die deutsche Besatzung war kurz. Nach Dráma kamen die Bulgaren. Die Griechen, die dieser neuen Ordnung der Dinge Widerstand leisteten, wurden streng bestraft. Sie erschossen hier und dort Geiseln und unter den Ermordeten sind auch Juden unserer Stadt, Alberto Sechan und David Mizan.
In Dráma, wie auch in der benachbarten Stadt Sérres und anderswo, schlugen die Besatzungsmächte der jüdischen Gemeinde vor, ihre Mitglieder sollten die bulgarische Staatsangehörigkeit annehmen. Doch hier und anderswo weigerten sich die Juden und es scheint, dass diese Weigerung der Grund ihrer Massendeportation war.
Es handelte sich um eine völligen Überfall. Gegen Ende des Winters 1943 drangen bulgarische Gendarmen in das jüdische Viertel ein und sammelten alle in großer Eile ein. Die Menschen hatten nicht mal die Möglichkeit, Kleinigkeiten mit sich zu nehmen. Manche schliefen noch und sie ließen ihnen nicht mal die Zeit, sich anzuziehen. Sie brachten sie zu den Tabaklagern, einem großen zweistöckigen Gebäude, wo sie sie viele Tage einsperrten.
Gleichzeitig sammelten sie die Juden der benachbarten Städte Kavála, Xánthi und anderswo ein.
Die Juden von Dráma hatten dasselbe Schicksal, das auch ihre Glaubengenossen der anderen Städte hatten, sie luden sie nämlich in Eisenbahnwaggons, die für den Transport von Tieren vorgesehen waren. Sie hatten sie zuerst in Simitli und Gourna Djoumay konzentriert, dann brachten sie sie zu einem Hafen an der Donau, Lom, und dort sollten sie sie in die Hände der Deutschen übergeben. Anscheinend haben sie alle in die Donau geworfen. Niemand von meinen Mitbürgern ist von dieser Reise zurückgekommen.
Ich hatte es rechtzeitig geschafft, nach Vólos zu fliehen; als sie auch dort anfingen, uns einzufangen, gelang es mir zu fliehen und in die Berge zu gehen.
Von unserer vielzähligen Bevölkerungsgruppe blieben gerade zehn Personen, davon zwei Kinder. Unsere beiden alten Friedhöfe, die sich in einem bedauernswerten Zustand der Entweihung befinden, bestehen, um an den Aufenthalt der Hispanojuden in Makedonien zu erinnern. Zertrümmert die Gräber, niedergerissen die Mauern – kein Besucher. Wir wollten die Gräber instandsetzen, die Mauern wieder aufbauen, aber wer wird all das unterhalten, wenn es bald keine Juden mehr in Dráma gibt?
Unsere schöne Synagoge wurde in Privatwohnungen umgewandelt. Unsere Schule wurde eine staatliche christliche Schule. So wurde unsere alte, seit Jahrhunderten bestehende, Gemeinde von Dráma zerstört.

5. Xanthi. Bericht von Judas Perachias
Die Stadt Xánthi in Thrakien hatte 28000 Einwohner, von denen waren 12000 Türken und 120 Familien mit etwa 600 Mitgliedern Juden. Von den Juden haben sie, wenn wir ungefähr 40 ausnehmen, alle anderen vernichtet.
Unsere Gemeinde war sehr alt; wir sprachen alle spanisch. Die meisten waren Tabakhändler oder Arbeiter in verschiedenen Zweigen der Tabakindustrie. Die jüdischen Familien lebten ein patriarchalisches Leben. Wir hatten eine jüdische Schule, einen schönen Saal für Versammlungen und eine schöne Synagoge.
Als sie die Juden vertrieben, wurde unsere Synagoge Sitz einer orthodoxen religiösen Vereinigung. Unsere Schule wurde eine griechische Schule. Ich bin der einzige und alleinige jüdische Bürger von Xánthi. Unser alter Friedhof ist zerstört. Es gibt niemanden, der die Gräber erhält.
Die Geschichte der Deportation der Juden von Xánthi ist die gleiche wie die Kaválas und der anderen Städte der Umgebung.
Die erste Maßnahme gegen uns in Xánthi war, dass wir ein erkennbares Zeichen (Judenstern) trugen, einen gelben Stern aus Plastik (…).
In der kühlen Nacht vom 3. zum 4. März 1943 begann das Zusammentreiben. Überrascht gehorchten die Menschen ohne richtig zu verstehen, was passiert war. Sie brachten sie zu den Tabaklagern und nachdem sie sie dort auf große Lastwagen verladen hatten, brachten sie die Gendarmen in Richtung Dráma. In Xánthi haben wir keine Eisenbahn, deshalb brachten sie die Juden, die sie dort und anderswo gefangen hatten, in Dráma zu den Zügen mit unbekanntem Bestimmungsort. Später erfuhren wir, dass der Zug mit den Deportierten an der Station Gourna Djoumay gesehen wurde und wie er von dort in Richtung Donauufer zufuhr.
Ich entkam der Deportation, weil ich in jener Nacht in Kavála war, wo ich deutlich die Schreie der Gendarmen und der Opfer hörte.
In Xánthi, wie auch in Kavála und anderswo, nahmen die Behörden sofort, als sie die Juden deportiert hatten, deren Eigentum in Besitz. Die wertvollsten Sachen nahmen die Verschlepper mit sich, die anderen wurden bei einer Versteigerung an die Bürger verkauft. So war nach kurzer Zeit das verschwunden, was die Juden von Xánthi – Arbeiter und Händler – über Generationen erworben hatten.

6. Didymoticho. Bericht von Nissim Alkalai
Griechenland kannte seit Beginn des Zweiten Weltkriegs drei Besatzungsmächte: die Deutschen und deren zwei Verbündete, das faschistische Italien und Bulgarien. So unterlag die jüdische Bevölkerung Griechenlands den verschiedenen Gesetzen der genannten Mächte. Didymóticho, Néa Orestiás und Souflí waren unter deutscher Besatzung; Alexandroúpolis, Komotiní und Xánthi unter bulgarischer.
Didymóticho zählte etwa 1000 Juden und war die zahlreichste Gemeinde von ganz Thrakien. An zweiter Stelle kam Komotiní mit 850 jüdischen Bürgern. In Xánthi gab es 600 und in Souflí etwa 40. In ganz Thrakien lebten ungefähr 3000 Juden. Die offiziellen Zahlen sind: 2852 vor 1940, deportiert 2692, Überlebende 83. In unserer Gemeinde waren einfache Menschen: Handwerker und Arbeiter. Es gab auch einige reiche Händler, Ärzte und Rechtsanwälte. Ich war Leiter der jüdischen Schule. Die Gemeinde war organisiert. Wir hatten eine schöne Synagoge, die zerstört wurde. Wir hatten ein schönes zweistöckiges Gebäude für die Schule, das 1912 erbaut wurde. Im ersten Stock hatten wir unsere Schule, im zweiten unser Kasino. Wir hatten eine gute Jugendgruppe, einen intellektuellen Kreis, ein Streichorchester und einen Chor.
Sobald der italienische Überfall stattfand, im Oktober 1940, verließ ich meine Geburtsstadt zusammen mit anderen jungen Männern, die eingezogen wurden. Wir kämpften gegen den Feind von Oktober 1940 bis zum April 1941. Dann kam der deutsche Überfall und nach ungefähr zwanzig Tagen unterliegt das kleine Griechenland.
Die Deutschen ließen sich in den jüdischen Häusern nieder. Sie beschlagnahmen das, was ihnen gefällt, sie nehmen die Unterwäsche und Kleidung der Privatleute, ohne sich zu schämen, seien es Offiziere, seien es einfache Soldaten. Wir haben alles erduldet. Zum Glück litten wir wenig Hunger, weil die Gegend reich war und wir immer Brot im Überfluss hatten, und sogar Butter und Käse.
Unsere Stadt liegt 500 Kilometer von Thessaloníki entfernt. Im März 1943 hören wir den schwachen Widerhall über die Deportation der dortigen Juden. Wir gehen in die Synagoge und beten ständig mit der Hoffnung, dass der Sturm uns nichts anhaben wird.
Am 3. März 1943 breitet sich ein Lärm aus wie das Feuer, das eine Feuerlunte anzündet. Es ist eine Sonderkommission angekommen mit dem Auftrag, spezielle Maßnahmen gegen uns anzuwenden. Am 4. März war ich in der Schule um zu unterrichten. Da kommt ein Freund und sagt zu mir, er habe von einem österreichischen Soldaten, der in seinem Haus wohnte, erfahren, dass sie anfangen würden, uns zu deportieren. Es wurde der Befehl gegeben, dass sich alle Juden in der Synagoge für eine besondere Bekanntmachung versammeln sollten. „Lass uns abhauen“, sagte ich zu meinem Vetter. Das, was sie mit dem Befehl erreichen wollten, war, dass sie alle in der Synagoge versammelten, die später die Gendarmen von allen Seiten einkesselten – und das war das Ende aller.
Auf die gleiche Art versammelten sie die Frauen und die Kinder. Sie alle waren noch in Didymóticho eingesperrt, während die “Kommission“ ihre Arbeit in Néa Orestiás erledigte, wo es ungefähr 200 Juden gab. Sie fingen 160 und 32 von Souflí.
Am 8. Mai nahmen sie alle diese nach Thessaloníki und am nächsten Tag brachten sie sie zusammen mit einer anderen Verschickung von Juden Thessaloníkis nach Auschwitz.
In Didymóticho hatten wir acht Familien mit spanischer Staatsbürgerschaft. Sie nahmen auch diese und von den 30, die sie waren, wurde keiner gerettet. Mein Vetter und ich schlossen uns den Andarten an und so wurden wir vor dem Tod gerettet.

7. Alexandroupolis. Bericht von Nissim Alkalai
(…) Alexandroúpolis zählte 14000 Einwohner, die jüdische Minderheit 160 Personen, alle Hispanojuden. … Es geschah wie in den anderen Städten der Umgegend. Vom 3. auf den 4. März 1943 – Nationalfeiertag der Bulgaren – umzingelten sie die Häuser der Juden. Deren halbbekleidete Bewohner warfen sie hinaus. Sie luden sie zuerst auf Lastwagen, brachten sie zum Bahnhof, und von dort transportierten sie sie ab.
Die Juden von Alexandroúpolis, 150 an der Zahl, waren ein Teil der mehr als 4500 Personen, die in der ganzen Gegend verhaftet wurden, als die große Welle der Verhaftungen anfing. Die Aktion wurde von den Bulgaren durchgeführt, aber unter der Leitung der Deutschen. In Thrakien und Makedonien beschäftigte sich eine spezielle Kommission mit den jüdischen Angelegenheiten. Ihr Anführer war der Obersturmführer Theodor Dannecker.
Die 850 Juden von Komotiní, das 70 Kilometer von Alexandroúpolis entfernt liegt, wurden ebenfalls deportiert. Sie hatten eine reiche Gemeinde. Dort waren die jüdischen Familien Nahnis, Meir Dassa, reichen Tabakhändlern, und andere hochgeschätzte, wie die Mevorah, Alboher, Kasari, Romano, Behar, Benusiglio.
In Alexandroúpolis, in Komotiní und in Néa Orestiás gibt es wenige Überlebende.

Die Berichte sind folgendem Buch entnommen und von Markus List aus dem Griechischen übersetzt worden:
Enepekidis, Polychronis K.: Oi diogmoí ton Evraíon en Elládi 1941 – 1944. - Athinai : Papazisi, 1969

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